Mount McKinley, Alaska, 6195 Meter
Mai/Juni 2002
Der Mount McKinley wird in Publikationen als der härteste und kälteste Berg der Welt beschrieben. Er ist der höchste Berg Nordamerikas, liegt nur rund 250 km südlich des Polarkreises, und ist somit 3500 km nördlicher als der Everest. Er ist berüchtigt wegen seiner tiefen Temperaturen (minus 40 Grad Celsius sind keine Ausnahme) und seiner überraschenden und heftigen Stürme mit Windgeschwindigkeiten von über 150 Meilen pro Stunde. Hart ist der Berg nicht nur wegen seiner Höhe und der klimatischen Bedingungen, sondern auch deshalb, weil man – anders als in den Anden oder im Himalaya – sein eigener Sherpa ist. Man muss jedes Gramm Gepäck selbst tragen.
Wir hatten zuerst Glück mit dem Wetter, weil wir in die Endphase eines 6-wöchigen Alaska-Hochs gekommen waren. Bis zum 25. Mai war das Wetter schön und stabil. An diesem Tag waren wir auf dem 4.300 m, dem sogenannten Medical Camp, angekommen. Für den nächsten Tag war noch gutes Wetter angesagt, aber für die darauffolgende Zeit war die Prognose schlecht. Nun war eine taktische Entscheidung zu treffen. Zwar hatten wir zwei aufeinanderfolgende Aufstiege von je 970 Höhenmeter hinter uns und hätten mindestens einen Ruhetag und weitere Akklimatisierung gebraucht. Dennoch beschlossen wir, das schöne Wetter zu nützen und mit Minimalausrüstung zu versuchen, am 26. Mai in einer Marathon-Etappe von 1900 Höhenmetern auf den 6.195 m hohen Gipfel zu kommen. Es könnte gelingen… Wenn nicht, würden wir den Versuch als Akklimatisierungstag betrachten und dann eine neue Lagebeurteilung vornehmen.
Zwei von uns, Toni Trummer und mein Sohn, schafften den Gipfel in einem 14-stündigen Aufstieg. Ich selbst war etwas zu langsam. Statt zwei Atemzügen pro Schritt brauchte ich drei; und statt nach 15 musste ich nach 10 oder 12 Schritten rasten. Nach 12 Stunden Aufstieg hatten Hermann Comploy und ich eine Höhe von 5.990 Metern erreicht. Inzwischen hatte sich das Wetter – viel schneller, als vorausgesagt – deutlich verschlechtert. Wir beschlossen umzukehren – 200 Höhenmeter unter dem Gipfel … Wir wollten das Risiko nicht eingehen, in einen der berüchtigten Stürme auf dieser Höhe zu kommen; ich hatte vor der Abreise zu vielen Leuten versprechen müssen, nichts zu erzwingen. Zudem lag noch der gesamte Abstieg zurück auf 4.300 m vor uns, weil wir – um Kraft zu sparen – mit dem leichtestmöglichen Gepäck, ohne Zelte und Proviant, aufgestiegen waren.
Die Entscheidung so knapp unter dem Gipfel fiel schwer, erwies sich aber als richtig. Wir hatten kaum eine halbe Stunde im Abstieg zurückgelegt, waren wir mitten in einem Whiteout und im Sturm. Nach 9 Stunden Abstieg erreichten wir insgesamt 21 Stunden nach unserem Aufbruch wieder unsere Zelte auf dem Medical Camp. Es hatte unten noch mehr geschneit als oben, und wir mussten zum Schluss durch 40 cm tiefen Neuschnee spuren. Ein Zelt, auch wenn alles nass kalt und verschneit ist, kann schöner als ein Luxushotel sein…
Das Wetter wurde in den folgenden Tagen nicht mehr gut genug, um nochmals einen Gipfelgang zu versuchen. Am 29. Mai steigen wir im Schneesturm endgültig ins Base Camp auf 2.200 m ab. Ein phantastischer Berg; eine unvergessliche Erfahrung; ein grosser Gipfelerfolg für zwei von uns; für die anderen zwei eine schwierige, aber richtige Entscheidung knapp vor dem Ziel; unfallfreie Rückkehr ohne Höhenkrankheit und ohne Erfrierungen, für die der Berg gefürchtet ist.
Es geht nicht immer gut aus: Ein anderer Bergsteiger, allein unterwegs, hatte uns auf rund 5.700 m im Aufstieg – sehr langsam – überholt; er begegnete Stunden später unseren Kollegen in der ersten Seilschaft, die schon im Abstieg vom Gipfel waren. Sie rieten ihm umzukehren; er stieg weiter auf. 24 Stunden später wurde er bewusstlos und beinahe erfroren durch Zufall gefunden und in letzter Sekunde gerettet. Wie in den Tagen darauf zu erfahren war, hat er knapp überlebt – mit schwersten Erfrierungen…