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Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen am 25.06.2015:

In den USA haben 2013 drei von vier afrikanischen und vier von fünf Latino-Haushalten mit Familienoberhäuptern im aktiven Lebensabschnitt weniger als 10.000 Dollar Ersparnisse für das Alter (National Institute of Retirement Security). Wenn die ohnehin knappen Renten einmal nicht reichen, ist der Weg in die Sozialhilfe unvermeidlich. Für das Jahr 2060 werden in den USA 62 Millionen Afrikaner, 130 Millionen Latinos und rund 27 Millionen Einwohner mit „two or more races“ veranschlagt. Diesen knapp 220 Millionen werden sich 170 Millionen Weiße und 34 Millionen Asiaten zugesellen (https://www.census.gov/newsroom/releases/archives/population/cb12-243.html). Von dieser gut 200 Millionen starken Minderheit wird erwartet, dass sie der Mehrheit auch dann ein finanziell akzeptables Auskommen garantiert, wenn dort die Ersparnisse verbraucht sind. Leicht wird das nicht, weil 2013 selbst von den Weißen nur jeder zweite Haushalt mit Erwachsenen im Arbeitsalter mehr als 10.000 Dollar auf der hohen Kante hat.
Bei so klammen Verhältnissen kann nicht überraschen, dass – so eine Gallup-Umfrage vom April 2015 – zwischen 2001 und 2015 der Anteil der sich zur Oberschicht zählenden Amerikaner von drei auf ein Prozent fällt. In der oberen und unteren Mittelschicht geht es von 63 Prozent auf 51 Prozent herunter. Von 33 auf wuchtige 48 Prozent springt dagegen der Anteil der Amerikaner, die sich als Arbeiter oder – zumeist öffentlich versorgte – Unterschichtangehörige einstufen (http://www.gallup.com/poll/182918/fewer-americans-identify-middle-class-recent-years.aspx).
Zeitgleich mit dieser dramatischen Abstiegs-Selbsteinschätzung fällt keine andere Wirtschaftsnation weiter hinter die Kompetenzfestungen (Ostasiaten, Schweizer, Skandinavier sowie übrige Anglo-Staaten) zurück als die USA. Nirgendwo nämlich liegen die von den Lehrern wahrgenommenen Schüler-Kompetenzen tiefer unter dem in US-Dollar gemessenen Einkommensniveau ihrer Eltern. Nach Vermögen und Löhnen gelten rund 13% der Amerikaner als sozial benachteiligt bzw. arm. „Social disadvantage“ wird dabei als Kurzformel für die Erklärung schlechter Mathematiknoten verwendet, weil sie hitzige Kontroversen über andere Ursachen des Versagens vermeidet. Und in der Tat gibt es in vielen Ländern einen deutlichen Gleichlauf zwischen Geldmitteln der Eltern und Schulleistungen der Kinder. Dabei bleibt allerdings ausgeblendet, ob die verfügbaren Kompetenzen die Einkommenshöhe bestimmen oder geringe Einkommen auch für geringe Kompetenzen sorgen.
Eine OECD-Studie vom Juli 2014 nun zeigt, dass – aufgrund der verheerenden Schulnoten – Mathematiklehrer an US-Mittelschulen nicht nur die erwarteten 13 Prozent real Armen, sondern mit 64,5 % fast fünfmal mehr ihrer Schüler für sozial benachteiligt halten (http://oecdeducationtoday.blogspot.com/2014/07/poverty-and-perception-of-poverty-how.html).
Der Niedergang der amerikanischen Mittelschicht mit acht Prozent weniger Kaufkraft als 2007 läuft global parallel mit einem Einkommensanstieg um den Faktor 2,5 in der chinesischen Unterschicht (Branko Milanovic; http://yaleglobal.yale.edu/content/tale-two-middle-classes). Mit China tritt also – wie zuvor mit Japan, Singapur, Taiwan oder Süd-Korea – eine weitere Nation auf die globalen Arbeits- und Talentmärkte, deren „sozial Benachteiligte“ höhere schulische Kompetenzen besitzen als der Nachwuchs „sozial privilegierter“ amerikanischer Mittelschichten. Das unterstreicht auch eine OECD-Studie vom Mai 2015, die im 2030er Welt-Pool an Ingenieur- und Naturwissenschaftlern 37 Prozent Chinesen, aber nur 4,2 Prozent Amerikaner sieht (http://www.oecd-ilibrary.org/education/how-is-the-global-talent-pool-changing-2013-2030_5js33lf9jk41-en).
Bis 2030 wird Amerikas Bevölkerung 25,7 Prozent der chinesischen (360 Mill. gegen 1,4 Mrd.) erreichen (mehr als je zuvor). Sein Naturwissenschaftler-Pool wird aber nur 11,4 Prozent des chinesischen ausmachen. Will die Weltmacht ihren Status – soweit er auf kompetente Menschen angewiesen ist – erfolgreich verteidigen, muss sie beim jährlichen Zugewinn an „skilled immigrants“ nicht nur die globale Nummer Eins bleiben, sondern bei der Menge neugewonnener Talente mindestens noch einmal um den Faktor zwei zulegen. Fast alle verfügbaren Könner, die weltweit eine neue Heimat suchen, müssten dafür nach Amerika drängen.
Mindestens so intensiv wie die USA suchen andere OECD-Länder hochqualifizierte Neubürger. Australien, Kanada und Neuseeland wollen bis 2050 von heute rund 60 auf über 80 Millionen zulegen. Die 20 Millionen Neuen sollen umgehend mit ihrer „Kreativität, Energie und Produktivität das Wirtschaftswachstum“ in der neuen Heimat vorantreiben können (http://www.fecca.org.au/images/stories/pdfs/policies_2007027.pdf). Die EU mit gut 500 Millionen Einwohnern muss allein für die jährlich rund zwei Millionen fehlenden Geburten (Differenz zwischen 1,5 realer und 2,1 erforderlicher Nettoreproduktion) bis 2050 rund 70 Millionen Talente anwerben.
Bereits für 2020 sollen allein in den OECD-Staaten 85 Millionen Könner fehlen, gleichzeitig aber 93 Millionen gering Qualifizierte nicht mehr vermittelbar sein. In keinem Land fehlen Abgeschlagene, überall aber tobt der „war for foreign talent“ (McKinsey 2012).
Amerikas angestammte Siegerposition bei dieser gegenseitigen Kannibalisierung könnte verloren gehen, wenn potenziellen Einwanderern die dort auf sie zukommenden Versorgungslasten als übergrosse Belastung erscheinen. Wenn einmal eine – ja weiterhin wachsende – Mehrheit einer schrumpfenden Minderheit wie ein Mühlstein um den Hals hängt, suchen Wanderungswillige auf der Weltkarte attraktivere Wirtshäuser als die USA. Demokratische Verhältnisse und rote Teppiche finden sie in den Kompetenz-Festungen auch. Die sorgen durch das Qualifikationsprofil ihrer Bevölkerungen überdies dafür, dass bürgerkriegsähnliche Zustände à la Baltimore oder Detroit unwahrscheinlich bleiben.
Schon bei PISA 2012 schneiden 51 Prozent aller amerikanischen Kinder in Mathematik mangelhaft, ungenügend oder noch schlechter ab, obwohl seit einem halben Jahrhundert nirgendwo mehr Geld pro Schüler eingesetzt wird als zwischen Texas und Alaska. Bei doch immer nur steigenden Anforderungen wird dieses Fiasko eine ungeheure Hypothek für Washington. Niemand weiß bisher, wie man die abtragen könnte. In Deutschland landen in ähnlich niedrigen Leistungsniveus bisher nur Migrantenkinder, die momentan aber lediglich ein Drittel des Nachwuchses stellen. Bei den Alteingesessenen scheitern „nur“ 30 Prozent (http://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtband; S. 299).
Auf einer internationalen Brainpower-Rangliste, die unter den 25 besten PISA-Nationen von 2009 den Prozentsatz der Kinder im obersten Mathematik-Leistungssektor ermittelt (vergleichbar einem „sehr gut“ bei sechs Schulnoten), ist Amerika schon damals nicht mehr erstklassig (China wird nicht mitgezählt und zahlreiche andere Leister-Nationen sind bei PISA 2009 noch nicht dabei):

Prozentsatz der Schulkinder im obersten Mathematik-Leistungssektor (nach PISA 2009)
[http://www.businessinsider.com.au/countries-with-the-most-brainpower-2013-10]
1.    Singapur9,10 Prozent
2.    Hongkong6,00 Prozent
3.    Taiwan5,85 Prozent
4.    Süd-Korea4,40 Prozent
5.    Schweiz4,25 Prozent
6.    Japan4,05 Prozent
7.    Neuseeland4,10 Prozent
8.    Belgien3,45 Prozent
9.    Australien3,30 Prozent
10.  Finnland3,24 Prozent
11.  Kanada3,10 Prozent
12.  Deutschland2,60 Prozent
13.  Niederlande2,55 Prozent
14.  Frankreich2,20 Prozent
15.  Schweden1,90 Prozent
16.  Tschechien1,80 Prozent
17.  Österreich1,70 Prozent
18.  USA1,70 Prozent
19.  Polen1,45 Prozent
20.  United Kingdom1,40 Prozent
21.  Italien1,00 Prozent
22.  Spanien0,75 Prozent
23.  Russland0,65 Prozent
24.  Türkei0,65 Prozent
25.  Brasilien0,10 Prozent

Schulversager müssen auch dann menschenwürdig und zur Not ein Leben lang bezahlt werden, wenn man sie auf den Arbeitsmärkten nicht mehr sucht. Sobald wanderungswillige Könner – vor allem die wegen geringster Geburtenraten besonders knappen, aber leistungsmäßig immer an der Spitze landenden Ostasiaten – diese noble Bürde nicht mehr tragen wollen, könnte aus dem immer noch unangefochtenen Traumland USA ein Alptraum werden. Kann Amerika diese Perspektive nicht mehr umkehren, landet der demokratische Gigant in der Zweitklassigkeit.