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Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen am 07.11.2013:

Die freie Handelbarkeit von Chinas Währung und die Eigentumsschaffung auf dem Land sind zwei Seiten derselben Medaille. Man erwirbt am liebsten Währungen, hinter denen tiefe Märkte stehen. Wo ich heute unbeschränkt eine Fabrik kaufe, sie morgen mit kleinem Aufwand wieder veräußern darf und dann das gewonnene Geld für die Anschaffung einer Farm oder das Verlassen des Landes einsetzen kann, gibt es diese Tiefe. Doch solche geschäftlichen Operationen sind nur möglich, wenn die betroffenen Vermögenspositionen frei verkaufbar sind, also Eigentumstitel haben.
Verstanden ist das in China schon lange. So tragen in Schanghai noch 1990 fast hundert Prozent der Immobilien, also so gut wie alle Grundstücke, Häuser, Wohnungen und Produktionsgebäude nur einen Besitztitel, dessen allein physische Nutzung die Nomenklatura bestimmt. Heute ist Schanghai mit 24 Millionen Einwohnern die dynamischste Stadt der Welt, weil – per Federstrich – über 90 Prozent der Liegenschaften Eigentum sind und zusätzlich zur bloß besitzmäßigen Nutzung geschäftlich verwendet werden. Man kann sie also kaufen, verkaufen, für die Kreditbesicherung verpfänden, für die Geldbesicherung belasten und bei Zahlungsverzug in sie vollstrecken.
Von allen kommunistischen Ländern begreift die Volksrepublik zuerst die fundamentale Differenz zwischen dem eigentumsgebundenen Wirtschaften und einer ärmlichen Güternutzung reiner Besitzsysteme. Bereits 1986 schafft man ein Gesetz für die Bankrottregelung, das doch nur Sinn macht bei Eigentum, dem man sich analytisch mithin schon lange vor 1986 nähert. Dagegen gibt es etwa im polnischen Musterland für Kommunismusüberwindung seinerzeit nur tapfere Rufe nach staatsfreien Gewerkschaften. Was Wirtschaften ausmacht, ahnt von den Aktivisten kaum einer. Erst 2003 findet Warschau zu einer Bankrottregelung, die wegen Stümperhaftigkeit schon 2006 nachzubessern ist.
Doch China zeigt ebenfalls Trägheiten. Auch dort wird es 2003, bis man das Selbsteigentum fixiert. Erst das erlaubt einen Zugang zu Liquidität ohne Pfandstellung, ohne Zinsen und ohne Tilgung, indem man es über Lohn-Geld erlangt, für dessen Generierung andere in Haftung gehen.
Jetzt können die Menschen zwar vom Land in die Städte und dort als Wanderarbeiter China in die Werkbank der Erde verwandeln, aber ihren dörflichen Boden dürfen sie vorher nicht verkaufen. Nach streng feudalen Prinzipien hängen an diesem Landbesitz Schutzpflichten der Herren aus der kommunistischen Partei. Zu ihnen müssen die Arbeiter zurück, wenn sie auf – allerdings bescheidene – soziale Absicherungen nicht verzichten wollen. Die orientieren sich immer noch am Niveau von 1978, als Chinas Prokopfeinkommen bei 200 und nicht wie heute bei 6.000 US-Dollar liegt.
Sicher gibt es die Experimente wie in der Provinz Guangdong, wo Bauern auf das von ihnen genutzte Land eine Hypothek erhalten, dann aber mit dem zu 6% geliehenen Geld nur in ihrem Dorfbezirk Wohnungen errichten dürfen. Immer noch verwandeln die Provinzfürsten ihrer Kontrolle unterliegenden Bodenbesitz am liebsten dadurch in Eigentum, dass sie ihn an Baulöwen verkaufen, die ihnen im Gegenzug für das Hochziehen großer Wohnkomplexe die staatlichen Kassen füllen.
Noch leben 470 Millionen Chinesen (35% von 1,35 Milliarden) direkt von der Landwirtschaft. Erst wenn Böden für optimale Betriebsgrößen frei handelbar werden und die dabei das Land Verlassenden etwas verdienen können, werden noch einmal hunderte Millionen Chinesen verfügbar für die nächste Welle ökonomischer Entwicklung, in der man viele OECD-Länder übertreffen wird.
Zwar steht China 2012 mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren und einer Kinderzahl von 1,55 demografisch ungleich besser da als Deutschland (44/1,42), aber der amerikanische Konkurrent ist mit 37 nur ein Jahr älter und schafft eine Kinderzahl von 2,06. Gleichwohl muss China die Amerikaner nicht fürchten, weil ihr Vorsprung rein quantitativ ist. Schließlich bleibt von Amerikas Nachwuchs ein Drittel ohne Ausbildungsreife – doppelt so viele wie in der Bundesrepublik. Zugleich hängt ein Sechstel der Gesamtbevölkerung wegen Qualifikationsmängeln an Foodstamps. Amerika absorbiert immer mehr Könner für die Versorgung von schon jetzt 50 Millionen Hilflosen. Seine von jedem Präsidenten beklagten Schulleistungen werden trotz weltweit höchster Bildungsausgaben einfach nicht besser. Als hingegen China 2009 dem vergleichsweise armen Schanghai erlaubt, am internationalen PISA-Test teilzunehmen, schafft die Elitestadt aus dem Stand den ersten Platz in Mathematik. Das Land steht kognitiv also nicht schlechter da als Singapur, Taiwan, Japan, Hongkong oder Südkorea, die bei allen Schülervergleichstests seit Jahrzehnten die Spitzenränge unter sich ausmachen, so dass die 1,5 Milliarden Ostasiaten höchstens einmal die fünf Millionen Finnen zu fürchten haben.
Wenn also China durch Vereigentümerung seiner Äcker ein kräftiges Stück heranfindet an die Produktivität Amerikas, wo von 1.000 Erwerbstätigen nur noch 7 und nicht wie in China 350 in der Landwirtschaft arbeiten, wird es unschlagbar. Selbst wenn nur ein Drittel der Agrarpopulation verschuldungsfähig und für zusätzliches urbanes Wachstum frei wird, geht es dabei um 150 Millionen Leute, also um eine komplette amerikanische Erwerbsbevölkerung ohne deren Schwächen beim Rechnen.
Eigentumsbildung am Boden wird für den Erfolg von Parteichef Xi Jinping mithin ungleich wichtiger als der Verkauf eines Teils der 140.000 Staatsbetriebe oder ihre Gewöhnung an Buchführung und Kreditkonditionen, wie Eigentumsbetriebe sie längst befolgen müssen. Was aus den Staatsbetrieben – nur jeder Fünfte arbeitet dort – an Produktivität und Arbeitskräften zu gewinnen ist, bleibt nachrangig gegenüber der Gesamtdynamisierung durch Verbriefung des chinesischen Landes.
Obwohl die ökonomische Weltspitze dann garantiert wäre und Vermögen sowie Talente aus allen Ecken der Erde für Chinas Yuan in seine tiefen Märkte drängen würden, bleibt die demographische Schwäche unversteckbar und viel schwerer zu bewältigen als Bankenkrisen oder Immobilienblasen. Sie bleibt die härteste Herausforderung. Es geht also auch für Peking bestenfalls um „the last man standing“, was für den Markterfolg natürlich ausreicht. Aber alles spricht dafür, dass die 1,0 Kinder pro Frau, die man bei den „kleinen“ Chinesen zwischen Singapur und Taiwan teilweise schon 2012 unterschreitet, auch für China selbst Schicksal werden.