In meinem Buch 2008 und 2013 über „Unternehmenspolitik und Corporate Governance“ mit dem Untertitel „Wie Organisationen sich selbst organisieren“ habe ich 14 Thesen an den Anfang gestellt (S.30).
Das ist zwar etwas kühn. Aufgrund meiner damaligen Systemdiagnose habe ich es aber gewagt und die heutige Realität zeigt, dass die Diagnose richtig war.
Angesichts des Zustandes der europäischen, und insbesondere auch der deutschen Parteienlandschaft will ich 3 davon hier zitieren- These 11, 12, und 13. Dabei ist 13 besonders wichtig:
These 11:
Es wird noch zwei Gruppen von Menschen geben: Erstens jene, die im Neuen nur Altes erkennen und nicht mehr genug verstehen, weil sie die Erkenntnisse hinsichtlich Welt, Wirklichkeit, System und Information der letzten Jahrzehnte versäumt haben. Zweitens jene, die das Neue als solches erkennen und es nutzen, weil sie diese Entwicklung schon in Zeiten aufmerksam mitverfolgt und verstehen gelernt haben, lange bevor deren Konsequenzen allgemein spürbar wurden
These 12: Die heutigen gesellschaftlichen Institutionen REvolutionieren sich oder sie verschwinden, weil sie unmanageable sind und daher ihre Zwecke nicht mehr erfüllen. Finanzierungsschwierigkeiten sind nur ein Symptom ihres Nicht-Funktionierens. Die Ursache ist ihr Mangel an richtigem, komplexitätsgerechtem Management.
These 13: Regierungspolitik wird in den globalen Gesellschaften zwar weiterhin wichtig, aber in ihrer heutigen Form immer mehr Quelle von Störungen, Behinderung und Begrenzunen sein. Heutige politische Parteien erfüllen keine Zwecke mehr, denn das Funktionieren gesellschaftlicher Systeme hat keine Parteifarben und folgt keiner Ideologie. Es ist nicht rechts oder links, schwarz, rot oder grün, sondern richtig oder falsch.
Der pathologische Leerlauf der Parteiendemokratie wird immer greifbarer. Er ähnelt einem Flugzeug, das zwar über alle Steuerelemente verfügt, wo aber im Cockpit nur ein Bruchteil der notwendigen Instrumente vorhanden sind und das Seitenruder aus Kostengründen außer Dienst gestellt wurde.
Ein guter Vergleich, Herr Pfeifenberger. Besten Dank.
Ich frage mich wieviel Neues es in der Politik (auf nationaler Ebene und auch auf europäischer Ebene) gibt, um eine Finanzkrise wie 2008 besser zu bewältigen. (Oder überhaupt zu bewältigen). Wurde hier schlagkräftige Kompetenzen aufgebaut um das System besser zu steuern – oder reagiert Politik weiterhin nur auf Ereignisse? In diesem Zusammenhang würde mich auch interessieren, wie die aktuelle Lagebewertung aussieht. Lange Zeit wurde ja eine weitere Krise mit 2015 bis 2018 beziffert. „Politische Krisen“ sieht man ja einige. Eine Finanzmarktkrise (glücklicherweise) noch nicht. Hat sich hier an der zugrundeliegenden Lage grundsätzlich etwas verändert bzw. haben sich die Zeiträume verschoben?
Es hat sich in der Arbeit der Zentralbanken etwas Grundsätzliches geändert, denn eine Null-Zinsen Politik wäre bis 2008 so gut wie undenkbar gewesen. Diese Politik hat aber ihren Preis, denn die Verschuldung ist seither nicht zurückgegangen, sondern gestiegen. Aber sie haben sich dorthin verlagert, wo sie noch am ehesten unter Kontrolle gehalten werden können. Hinzu kommt heute, dass, wie sie andeuten, die politischen Systeme instabil geworden sind, und die Bildung eines tragfähigen Konsenses nur mehr schwer möglich ist. Es dauert alles viel zu lange. und das Denken bleibt in den alten Mustern, in denen wir für die heutigen Herausforderungen kaum… Weiterlesen »
Lieber Prof. Malik, passend dazu die aktuellen politischen Geschehnisse rund um Merkel. Der unzureichende Umgang mit Komplexität führt zum äußerst typischen Verhaltensmuster, dass Konsequenzen leider immer erst dann gezogen werden, wenn die Dinge eskalieren bzw. der größtmögliche Schaden schon eingetreten ist. Frühwarnungen werden leider – aus Egoismus und/oder Unwissen – bewusst ignoriert und am Alten festgehalten. Es braucht noch immer die Krise und damit verbundene Schäden für notwendige Erneuerung. Leider auch eine meiner wesentlichsten Erfahrungen in den Führungsebenen der Unternehmen. Mit Systemverständnis und gutem, vorausschauenden Management ließen sich massive Schäden in den meisten Fällen von vornherein vermeiden. Ihre korrekten Thesen… Weiterlesen »
Lieber Herr Schmidt, besten Dank für Ihr Posting. Ja, so einfach ist es, wenn man die nötigen Kenntnisse über Komplexität hat. Und so schwierig ist es offenkundig, wenn man sie nicht hat. Sie bringen es auf den Punkt. Ich hatte im Blog bereits mehrfach über Politik und Komplexität geschrieben. sie erinnern sich vielleicht noch an die Gedanken zur Koalitionsbildung. Aber selbst wenn eine Koalition steht, so wird die Komplexität ja nicht geringer, sondern sie steigt weiter an. So, wie schon lange technisches Wissen und naturwissenschaftliches Wissen, auch juristisches und medizinisches Wissen unabdingbar sind, ist heute Komplexitätswissen unverzichtbar. Und damit wird… Weiterlesen »
Lieber Herr Dr. Malik, es ist spannend zu sehen, dass es einerseits in vielen Bereichen der Politik und des Gesellschaftlebens die von Ihnen vorausgesagten Komplikationen gibt (und das dicke Ende kommt erst noch), andererseits das kybernetische Wissen in den letzten Jahren stark anwächst (These 12). Es verbirgt sich häufig hinter Begriffen, die „neu“ klingen, letztlich vieles von dem, was Sie, und auch andere wie Vester usw., schon vor zwei bis drei Jahrzehnten behandelten. Insofern sehe ich die Entwicklung in Richtung Ihrer zweiten These (gesellschaftlichen Institutionen REvolutionieren) zumindest mal als Option. Zuerst allerdings muss es „knallen“ an entscheidender Stelle, den Finanzen,… Weiterlesen »
Lieber Herr Puls, vieles spricht dafür, dass Sie mit dem „knallen“ recht haben könnten. Bisher war es in der Geschichte so. Andererseits ist erstmals das Wissen vorhanden, dass genau das verhindert werden könnte. In früheren Transformationen war man hilflos. Sie passierten. Und die Lebenserwartung der Menschen war so kurz, dass die Zeitgenossen gar nicht begreifen konnten, was vor sich geht. Ist das heute anders? Ja und nein. Ja, denn wir leben lange genug, um fast eine ganze Transformation bewusst zu erleben. Und wir haben die Beispiele der Geschichte, um daraus zu lernen, um die Indizien frühzeitig genug zu erkennen, und… Weiterlesen »
Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass Konplexität und gezielte Fernwirkung in einem direkten Zusammenhang stehen. Je weiter die Ziele in Raum u n d Zeit sind, die adressiert werden, desto komplexer muss die Architektur, die dahinter stehende Organisation und das koordinierende Management sein. Kommunikation und Synchronisierung werden zu wachsenden Herausforderungen. Dabei ist es wichtig, dass es sogenannte „Absolutionen“ gibt. Das sind Ressourcen, auf die bedingungslos zugegriffen werden kann. Beispiele sind Rohstoffe, elektrischer Strom, Kompetenz und Anzahl menschlicher oder maschineller Arbeitskraft. Nehmen wir die Mondlandung im Jahr 1969. Die organisatorische und technologische Grundkomplexität dieses damaligen Projekts ist nicht wesentlich unterschreitbar.… Weiterlesen »
Die Mondlandung ist ein gutes Beispiel, lieber Herr Pfeifenberger, dafür herzlichen Dank. Und
eine sehr schöne und richtige Einsicht gleich in Ihren ersten 2 Sätzen. Dabei entsteht das Paradoxon,
dass gerade wegen der Digitalisierung bzw. der durch sie ermöglichten Vernetzung die beiden
grossen geschichtlichen Koordinatoren, nämlich Raum und Zeit, wegfallen, bald schon keine Bedeutung mehr haben werden, was wir schon heute sehen. Um wirksam zu werden in Indien genügen per Mail etc. ein paar Sekunden. Hinfahren muss man dafür nicht. Schreiben Sie doch dazu noch etwas mehr. Und auch über die „Absolutionen“, ein in diesem Zusammenhang neuer Begriff.
Auf das Prinzip der Absolution bin ich vor ca. zwei Jahren gestoßen, als ich mir die Frage stellte, welche Grundvoraussetzungen für das Entstehen und die Aufrechterhaltung von Komplexität gegeben sein müssen. Dabei fiel mir auf, dass das allgegenwärtige Vorhandensein oder aber das Fehlen bestimmter Ressourcen eine Schlüsselrolle innehat. So treibt beispielsweise der optische Sinn die Evolution von Tier und Mensch deshalb enorm voran, weil das Sehen sich grundsätzlich von den meisten anderen Sinnen unterscheidet. Der optische Sinn ist nämlich nicht von relativ seltenen Ereignissen abhängig. Wenn beispielsweise lokal nichts geschieht, kann man nichts hören, wenn nicht lokal Geruchspartikel ausgesandt werden,… Weiterlesen »
Lieber Herr Pfeifenberger, ich bitte um Nachsicht, dass ich Ihren so überaus interessanten und wichtigen Beitrag erst mit zwei Wochen Verspätung publiziere. Zum Glück verliert er dadurch nichts an Aktualität und Bedeutung. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu diesem Posting. Wie sind Sie, Sie sagen, vor 2 Jahren, auf dieses Prinzip der Absolution gestoßen? Sie sagen, beim Durchdenken der Entstehung und Aufrechterhaltung von Komplexität. Die meisten Menschen wollen Komplexität reduzieren. Dies ist fast immer der erste Reflex, und es ist die vorherrschende Meinung. Ihr Beispiel mit dem optischen Sinn leuchtet unmittelbar und intuitiv ein und ebenso die Auswirkungen auf die Evolution… Weiterlesen »
Eine beeindruckende Erkenntnis, vielen Dank!
Bedeutet die Sonne auch eine solche Absolution? Deren Energie steht ja (fast) unbegrenzt zur Verfügung.
Herr Gmür, vielen Dank ihren Hinweis. Die Sonne ist in der Tat die Quelle einer Vielzahl von Absolutionen. Bei der Photosynthese macht sie Organismen von nur lokal vorhandenen Reduktions- und Oxidationsmitteln unabhängig. Indirekt ist sie für die Sauerstoffakkumulation in der Atmosphäre verantwortlich, die selbst wieder eine Absolution zur Folge hatte und die Entstehung komplexerer Organismen erst möglich machte. Dann ist da die Photovoltaik zu nennen, die so Dinge wie Zuckerbergs Solar Power Plane zur Folge hatte. Beim optischen Sinn führte die Expansion des sensorischen Raumes letztlich zu etwas, was man mit dem Begriff „Bedeutung“ benennen könnte. Auguste von Bayern hat… Weiterlesen »
Ohne Absolutionen kein Leben – faszinierender Gedanke! Wir nehmen Absolutionen jedoch vorwiegend negativ als „Verschwendung von Ressourcen“ wahr und werden dazu angehalten sie zu bekämpfen (Energie, Nahrung, Rohstoffe). Was sagen Sie dazu?
Absolutionen sind von ihrer Natur her expansiv, da ja Freiräume entstehen in die hinein sich ausgedehnt werden kann. Ethische und juristische Systeme sind demgegenüber hauptsächlich restriktiv, privilegieren oft einzelne Gruppen und bremsen Entwicklungen, die auf Absolutionen gründen eher aus. Es gibt allerdings keinen Zweifel, dass manche Absolutionen sich selbst ihre Grundlage entziehen. So hat die Photosynthese den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre stetig reduziert. Auch führt die Offenlegung der geologischen Ressourcen mittelfristig wieder in eine Mangelsituation. Nur muss man sich im Klaren darüber sein, dass eine Einschränkung in den von Ihnen genannten Bereichen zu einem Rücksprung im Absolutions-„Baum“ führen. Absolutionen sind, wie… Weiterlesen »
Die „Produktionsrevolution“ als deren Folge viele Güter des Alltags in Hülle und Fülle vorhanden sind und die Preise gegen Null tendieren ist auch eine Absolution mit ungeahnten Möglichkeiten für unsere Zukunft?
Lieber Herr Pfeifenberger,
ist „Absolution“ wirklich der beste Begriff für das, was Sie meinen?
Im christlichen Kontext (katholisch ebenso wie reformiert) ist es die
Freisprechung von Sünden nach der Beichte mit der Absolutionsformel.
Wie sehen Sie den Zusammenhang zu Ihrer Idee?
Überfluss ist keine Sünde (mehr), sondern Voraussetzung für die Entwicklung höherer Lebensformen (Komplexität). So gesehen passt der Begriff Absolution sehr gut, denn so fühlt sich die gewonnene Einsicht an (Freisprechung)!
Sprachlich haben Sie schon recht, lieber Herr Gmür. Ich fürchte, dass es viele Missverständnisse geben wird/würde,
weil der Begriff so sehr nahe an der katholischen Konfession ist
Ja, leider. Uns fehlen häufig die Worte für diese neue Welt, die sich da vor unseren Augen Schritt für Schritt zeigt („offenbart“). Und dort wo wir sie hätten, haben sie häufig einen religiösen oder esoterischen „Beigeschmack“.
In jeder Transformation fehlten die Worte für das Neue. Es ist nachgerade ein „Beweis“ dafür, dass wir in einer der vielleicht tiefgehendsten Transformation stehen, dass wir für vieles keine angemessenen Begriffe haben.
Als das Auto aufkam, hatte man keinen Begriff dafür: Es war ein Fahr-Zeug – ein „Zeug“, das fährt. Und so war es auch beim
Flug-Zeug. Dass das Neue keinen Namen hat, ist der beste Beweis dafür, dass es wirklich neu ist. Und wir sollten es
eben deshalb nicht mit alten Begriffen benennen.
Der Zugewinn an Freiheitsgraden, der durch den Überfluss getriggert wird ist das Entscheidende. Die Not, der Mangel setzen unüberschreitbare Limits, die sich sogar mathematisch berechnen lassen müssten, wie etwa die Maximalgröße anaerob lebender Bakterien. Da Absolutionen grundsätzlich reversibel sind, kann man mit ihnen sowohl gedanklich, als auch praktisch experimentieren.
Sehr geehrter Herr Professor Malik, ich habe mir das auch lange überlegt, aber das lateinische Wort „absolvere“ heisst ja loslösen und beschreibt den Vorgang einer Ent-Bindung. Die Basisabsolution ist dabei die universelle Bindungspotenz des Kohlenstoffatoms. Ohne sie gäbe es alle anderen Absolutionen nicht.
Lieber Herr Pfeifenberger,
rein sprachlich ist es wohl schon das richtige Wort. Dennoch habe ich die Sorge – aber, im Moment keine bessere Lösung – dass der Begriff für lange Zeit zu argen Missverständnissen, konkret auch zu Anfeindung, Ablehnung etc. führen kann.
So haben wir es erlebt mit Begriffen, wie Management, System, Kybernetik, Control, Evolution, und mehr.
Denn wer kann heute noch Latein? Und wer unterscheidet zwischen der kirchlich besetzten Bedeutung (nicht zuletzt wegen des Ablasspfennigs .. ) und Ihrer naturwissenschaftlichen Begriffsbedeutung? Mal sehen…