Heinsohn analysiert in seinem aktuellen Artikel die Gründe für das ökonomische Scheitern Brasiliens:
„Seinerzeit wurden die Bric-Staaten als die neuen Hoffnungsträger der Weltwirtschaft gehandelt. Zumindest für Brasilien trifft das nicht mehr zu, vor allem China hat das einstige Co-Schwellenland ökonomisch abgehängt.
Unter 1000 brasilianischen Jugendlichen gibt es bei Pisa 2012 nur acht (!) mit guten oder sehr guten Mathematikleistungen. Dagegen wurden 671 als schlechter denn mangelhaft bewertet. Immerhin geben 85 Prozent zu Protokoll, in der Schule glücklich zu sein.
Suchen Experten nach Gründen, warum Brasiliens Bruttoinlandsprodukt 2015 um knapp vier Prozent und bis Mitte 2016 um weitere sechs Prozent absinkt, dann nennen sie den Rückgang der Rohstoffpreise, die Korruption bis in die Spitzen selbst der Arbeiterpartei, die Aufblähung konsumtiver Staatsausgaben für die Armen sowie den Verzicht auf das Ansammeln von Reserven während der Hochkonjunktur.
Die Kompetenz der Brasilianer wird so gut wie niemals thematisiert. Präsidentin Dilma Rousseff fügt eine „politische Krise“ durch ihren unfreiwilligen Rücktritt am 15. Dezember 2015 als weiteren Krisenfaktor hinzu. Der beschleunigte den Anstieg der Arbeitslosigkeit von 6,2 Prozent Ende 2013 auf 11,3 Prozent im Juni 2016. Nicht einmal die Kürzung der Monatslöhne um vier Prozent seit Anfang 2015 auf durchschnittlich gerade noch 1,962 Reais (547 US-Dollars) kann die Entlassungen verlangsamen.
Niemand ist glücklich über bestechliche Beamte, instabile Verhältnisse oder staatliche Verschwender. Doch private Firmen berührt das nur indirekt. Sie müssen ihr Geschäft durch permanente Innovationen global verteidigen und rechnen wöchentlich oder sogar täglich ab. Eine einfache Industrie für Küchenherde, Kühlschränke oder Lieferwagen galt lange als Beweis für Brasiliens unaufhaltsamen Aufstieg. Die aber ist mittlerweile weitgehend ausgeschaltet, weil auf den Weltmärkten Besseres preiswerter angeboten wird.“
Kompletter Artikel auf derStandard.at
Sehr geehrter Herr Dr. Heinsohn,
als ich Ihre Fragestellung las „Wie soll es für Brasilien jemals aufwärtsgehen, wenn selbst westliche Topnationen gegenüber den Ostasiaten wanken?“, erinnerte ich mich an ein brasilianisches Beispielunternehmen, das zeigen könnte, wie es geht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Semco_System
https://www.brandeins.de/archiv/2010/nachfolge/mach-es-zu-deinem-projekt/
Es stellt sich die Frage, wie das Unternehmen heute positioniert ist. Wenn es heute noch existiert bzw. prosperiert, könnten sich die Brasilianer ein Beispiel daran nehmen. Auf der Website http://www.semco.com.br/en/ wird um Investoren für Brasilien geworben. Das ist nicht wirklich lukrativ, wenn man Ihren Artikel liest.
Viele Grüße aus dem Norden
Brasiliens starke Wachstumsjahre währten von 1968-1980 (https://knoema.com/mhrzolg/gdp-statistics-from-the-world-bank). Danach setzt nicht nur die chinesische Konkurrenz ein, sondern auch das Hightech-Zeitalter mit Informationstechnologie, Automatisierung etc. nimmt Fahrt auf. Wo die dafür benötigten Köpfe knapp sind, wird es seitdem stetig schwieriger. Das schliesst – bei einem 200-Millionenland – lokale Top-Cluster nicht aus, reicht aber nicht für das Anheben in der Breite. Am berühmtesten wird Embraer (Flugzeuge ab 1969), das 2016 die Häfte seines Börsenwerts verliert. Gunnar Heinsohn
Embraer hat noch ganz gute Verkaufszahlen und stürzt sich gerade auf den Iran. Wer tummelt sich auch nicht alles in dem Segment der mittleren Verkehrsjets und der Business-Jets? Sogar die Schweiz steigt mit der Pilatus PC 24 ein. Optisch sind die meisten Maschinen kaum mehr zu unterscheiden. Die Flugzeugtechnik ist wie die Internettechnologie an einer magischen Grenze angelangt. Man redet zwar viel von Innovation, doch praktisch ist längst Stagnation eingetreten. Universelle Technologien, wie das Smartphone kannibalisieren beispielsweise gegenwärtig das spezielle Segment der Consumer-Kameras. Die Dynamik geht schon mehr nach innen als nach außen. Ich tue mich deshalb schwer mit der… Weiterlesen »
Es gibt da ein grundsätzliches Problem, das sehr eng mit dem von Ihnen definierten Kriegsindex zusammenhängt. Eine immer stärker werdende Automatisierung lässt Stellen in allen Bereichen der Industrie, des Dienstleistungsgewerbes und selbst der Banken verschwinden. Dadurch können einige wenige hochentwickelte Industriestandorte sehr bald den Gesamtbedarf der Erde an Industrieprodukten decken. Außerdem sind Innovationspotentiale für Technologie endlich, was gegenwärtig im Smartphonebereich, zumindest im Hardwaresektor beobachtet werden kann. Die dynamische Verteidigung der Zahlungsfähigkeit bricht so auf breiter Front zusammen und es kommt zu einer eventuell sehr abrupten deflationären Kontraktion. Dann werden junge Männer auch als einzige Söhne kriegsfähig, weil sie sonst keine… Weiterlesen »
Sehr geehrter Herr Professor Malik, ich habe zwei Artikel auf Welt-N24-Online gelesen. Ein Interview mit dem Firmenchef von Nvidia (PC-Grafikkarten-Chips) Jen-Hsun Huang. Seine Strategie hört sich sehr nach Peter F. Drucker kreativer Zerstörer usw. an. Und einen Artikel über „KI“-Software die in Daten Muster erkennen soll um daraus Handlungsempfehlungen für die Betriebsoptimierung abzuleiten. Jetzt Frage ich mich ob das Kybernetik durch die Hintertür „KI“ ist. Könnte es sein, dass diese Software-Algorithmen bei immer weiterer Entwicklung und Vernetzung irgendwann zu sehr komplexen „Handlungsempfehlungen“ in der Art „Firmensteuerungsstruktur folgendermaßen umbauen;…….“ kommen? Wenn sie es tun bin ich überzeugt davon, dass dabei die… Weiterlesen »
Ich habe sehr gemischte Gefühle bei dieser Entwicklung. Man überlässt den Maschinen immer komplexere Entscheidungen ohne das Zustandekommen der Entscheidungen im einzelnen nachvollziehen zu können. Diese Software-Algorithmen werden wohl kaum ethische Maßstäbe in ihrem Mittelpunkt stehen haben. Ich frage mich ob sie das aus ihrem anwachsenden WIssen und ihrer „Intelligenz“ heraus ausreichend von alleine entwickeln werden. Ich fände es interessant wenn Sie oder auch Prof. Gunnar Heinsohn zu diesen beiden Themenkomplexen Stellung beziehen würden. Hier die Links zu den Artikeln: https://www.welt.de/wirtschaft/article158722704/Es-sind-keine-physischen-Grenzen-in-Sicht.html https://www.welt.de/wirtschaft/article154838727/Das-neue-Technik-Zeitalter-folgt-dem-Prinzip-Hundefoto.html mit freundlichen Grüßen Stefan Ludwig P.S.: Anmerkung für Herrn Professor Malik: Wenn sie finden mein Beitrag passt besser… Weiterlesen »
In meinem neuen Unternehmen mache ich mich ebenfalls daran, die Potentiale der KI auszuloten und habe bereits mehrere Problemstellungen identifiziert, in denen der Einsatz von KI sehr vielversprechend erscheint. Ethische Bedenken habe ich nicht. Wieviele Zivilisten sind durch fälschliche Bombardierungen zu Tode gekommen? Wieviele Soldaten sind durch das irrtümliche Feuer der eigenen Kameraden umgekommen? Wieviele Verkehrstote gehen auf das Konto von Fahrern, die vom Sekundenschlaf übermannt wurden? Die unachtsam waren? Wieviele falsche Gelenke wurden operiert, falsche Organe einer Krebsbehandlung entfernt, weil die OP-Mannschaft rechts und links verwechselte? Wieviele falsche medizinische Therapien wurden durchgeführt, weil ein Arzt nicht alle in Frage… Weiterlesen »
Genau – was oft auch übersehen wird ist, dass eine KI schlicht Zugriff auf mehr Daten und Informationen hat, zumindest wenn die Antworten in Echtzeit oder kurzem Zeitraum erfolgen soll. Wenn in einem selbstfahrenden Auto in Zukunft 8 Onboard-Kameras in versch. Richtungen und Winkeln, dazu noch Radar- und GPS-Daten etc. in Echtzeit verarbeitet werden, dann hat der Autopilot einfach mehr Informationen zur Verfügung als ein Mensch am Steuer. In anderen Situationen kann ein KI-System ein ausgezeichnetes Empfehlungs-System sein.
Die Methoden und modernen neuronalen Netze wie z.B. LSTM, welche jetzt in der KI zum Einsatz kommen wurden vor ca. 10-15 Jahren weitestgehend in Deutschland und der Schweiz (siehe z.B. Prof. Schmidhuber und Prof. Hochreiter) erforscht und entwickelt – ironisch nachzudenken, dass diese Grundlagenforschung durch den europäischen Steuerzahler finanziert wurde, jetzt im grossen Stil von amerikanischen und chinesischen Unternehmen kommerziell erfolgreich eingesetzt wird. Dass die NN jetzt so beliebt sind, hängt damit zusammen, dass durch die GPUs endlich mehr Rechenkapazität vorhanden ist, neu sind diese aber nicht. Leichte Sorgen muss man sich derzeit – wenn überhaupt – wohl nur bei… Weiterlesen »
Hallo Herr Moroder. In einem Aufsatz „Computation in Neural Nets“ , 1967, schreibt einer der Pioniere der Kybernetik, Heinz von Foerster, folgendes: „Ten neurons can be interconnected in precisely 1,267,650,500,228,229,401,703,205,376 different ways. This count excludes the various ways in which each particular neuron may react to its afferent stimuli. Nicht gerade das, was man eine kleine Zahl nennt. Und weit mehr als das, was man eine grosse Zahl nennt… (Schreibfehler habe ich nicht gemacht.) Er schreibt dann weiter: “ Considering this fact, it will be appreciated that today we do not yet possess a general theory of neural nets of… Weiterlesen »
Es ist eine grosse Zahl, aber diese lässt sich enorm komprimieren wenn man die Kolmogorow-Komplexität zu Grunde legt, d.h. ich kann die gesamten 1,267,650,500,228,229,401,703,205,376 Konfigurationen der 10 Neuronen durch ein relativ kurzes Programm erzeugen (Pseudo-Code: Enumeriere alle möglichen Konfigurationen von 10 Neuronen) – dieses Programm stellt also alle Konfigurationen dar. In diesem Sinne ist die Anzahl der möglichen Konfigurationen extrem hoch, aber nicht die Algorithmische Komplexität, weil ich diese extrem komprimieren kann. Es gib einige Fortschritte theoretischer Natur seit 1967, die v.a. vor 10-15 Jahren gemacht wurden (Deep Learning, RNNs, LSTM, Gödel-Machine, Meta-Learner, Universal Learning Algorithms) und jetzt z.T. nützlich… Weiterlesen »
Es geht hierbei nicht um die Frage, ob sich die Zahl komprimieren lässt oder ob
und wie man sie erzeugen kann, denn es ist klar, dass man dies mit einem modernen Rechner
leicht tun kann. Wir sprechen hier von Neuronen, und daher geht es um die Frage, welche Zustände sie als Schaltelemente im Gehirn annehmen können und wie damit andere Neuronen beeinflusst werden, die wieder zurückwirken, und summa summarum was daraus folgt für das Funktionieren eines Gehirnes. Nach alten Schätzungen hat das menschliche Gehirn rudn 10 Mia Neuronen, nach neueren Schätzungen sollen es 100 Mia oder sogar noch mehr sein.
Ja, da stimme ich Ihnen durchaus zu, will aber mit einem Missverständnis aufräumen: Neuronale Netze sind nur „lose“ an das menschliche Gehirn inspiriert (z.B. Backpropagation-Algorithmus, der bei NN angewandt wird, so im menschlichen Gehirn aber nicht stattfindet – für Gegenargumente siehe z.B. http://sms.cam.ac.uk/media/2017973?format=mpeg4&quality=360p ab der 40. Minute). Das Ziel welches mit NN verfolgt wird, ist ja Intelligenz und die Fähigkeit zu lernen (durch Training), nicht primär perfekt das menschliche Gehirn zu imitieren. Ich werde den Aufsatz von Heinz von Foerster (sobald ich die Zeit dafür finde) nochmals durchlesen, hatte diesen aber so verstanden, dass es ihm darum ging, „Constraints“ zu… Weiterlesen »
Weiter als Constraint aufzuführen wäre, dass NN effizienter ablaufen müssten (in unserem Gehirn werden nur möglichst wenige, aber wichtige und „richtige“ Neuronen aktiviert, statt alle; es müsste relativ viele kurze Verbindungen und wenige lange Verbindungen geben, um die Latenz bzw. die Kosten der Kommunikation zu minimieren). Zu den angeführten Zahlen bzgl. menschlichem Gehirn: Ca. 100 Mia Neuronen, ca. 100 Mia Gliazellen und ca. 100 Billionen Synapsen; einige davon sind Input (Audio, Video, Geruch etc.), einige Output (Muskeln), aber die meisten sind dazwischen und dort findet auch das Denken statt. Einige Wissenschaftler&Futuristen glauben, dass wir in 25-35 Jahren die notwendige Rechenpower… Weiterlesen »
Das grosse Varietätspotential von Gehirnen wird von diesen funktionell anders genutzt, als wir die bisherige Technologie nutzen. So gesehen haben wir uns in der Technik und auch in den Neurowissenschaften vom Funktionieren des Gehirns eher weiter weg als näher hin bewegt. Wolf Singer, der Doyen der deutschen Hirnforscher, sagte vor ein paar Jahren in einer Scobel-Sendung sinngemäss, die Hirnforschung sei seit den 1990er Jahren einen Irrweg gegangen. Mir scheint, dass McCulloch zu seiner Zeit bereits mehr vom Neuro-Funktionieren verstanden hat, als wir das heute tun. Zumindest müssen Algorithmen mit Heuristiken kombiniert werden, denn mehr Geschwindigkeit führt nicht automatisch zu mehr… Weiterlesen »
Das ist einer der Punkte, den ich seit langem wichtig finde: Neuronale Netze und Gehirne sind verschieden. Ihre Links konnte ich zwar noch nicht anschauen, werde das aber so bald wie möglich tun. Heinz von Foerster ging es u. a. um Constraints, das ist richtig, und um memory without storage.
Da haben Sie Recht. Eine wichtige Frage ist aber, ob zwei unterschiedliche Mikrozustände eines NN auch zwei unterschiedliche semantische Bedeutungen haben. Das muss nicht unbedingt sein. Aus der statistischen Physik kennt man das Phänomen, dass ein bestimmter Makrozustand durch sehr viele verschiedene Mikrozustände repräsentiert werden kann, ohne dass der Beobachter einen Unterschied feststellen könnte. Es war eine überragende intellektuelle Leistung Boltzmanns, dies erkannt und nachgewiesen zu haben, zu einer Zeit, wo Atome noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden sind und Positivisten wie Ernst Mach ihn öffentlich verspottet haben, was ihm sehr zusetzte. Will sagen, trotz ungeheurer mikroskopischer Komplexität gelangen wir zu… Weiterlesen »
Ganz einverstanden. Sie verstehen auch, warum ich Kybernetiker mag.
Zum Beispiel befassen sie sich mit äquifinalen Systemen, mit rekusiv erzeugten Invarianten
usw. Einfacher gesagt: Alle Wege führen nach Rom ..
Lieber Herr Ludwig Danke für Ihr sehr interessantes Posting. Der Ausdruck „kreative Zerstörung“ stammt von Joseph Schumpeter, dem österreichischen Ökonomen aus den 1940er Jahren. Aber Drucker hat ihn gut gekannt, und vertrat ähnliche Auffassungen. Die Künstliche Intelligenz ist ein direkter Ableger der Kybernetik und wurde schon Ende der 1940er Jahren dort diskutiert. Ja, es ist möglich, dass solche Empfehlungen von Programmen kommen und es ist sogar wahrscheinlich. Es wird dann darauf ankommen, was die Nutzer damit machen. Eine Zeitlang wird es so sein, wie wenn Steuerberater, Anwälte und Consultants ein Gutachten machen. Das Viable System kann dabei recht gut herauskommen,… Weiterlesen »
Ich hatte vor einigen Jahren in Brasilien zu tun. Damals sind mir einerseits die hohen Zölle aufgefallen und andererseits eine gewisse Abgeschiedenheit in der technischen Entwicklung, die aber auch interessante Blüten gezeigt hat. So etwa die FLEX-iblen Motoren, die beliebige Mischungen aus Alkohol und Benzin schlucken konnten. Mehrheitlich wurde Alkohol als Treibstoff verwendet, auch weil er für die Konsumenten wesentlich billiger war. Mein Fahrer und Dolmetscher hat mir aber verraten, dass es üblich sei, mit seiner Herzensdame beim Rendezvous zur Tankstelle zu fahren und eben Benzin zu tanken, um ihr zu zeigen, dass man es sich leisten kann. Auch wenn… Weiterlesen »
Eine wichtige Beobachtung. Ausser China ist keines der BRIC-Länder so richtig vorangekommen, sondern im Gegenteil zurückgefallen. China zeigt aber, dass es doch geht. Aber nur unter der einen Voraussetzung, die so gut wie nie beachtet wird: Richtiges Management. Wie der Vergleich Russland/China zeigt, ist nicht die Staatsform ausschlaggebend. Beides, Russland und China, sind Kommandowirtschaften. Grob gesagt, setzen die Chinesen ihr Staatssystem mit richtigem Management als Vorteil, als Stärke. Russland tut das nicht. Umgekehrt sind Brasilien und Indien Marktwirtschaften. Beide haben aber bisher kein Management entwickelt. Also verkommt die Marktwirtschaft zur Korruptionswirtschaft. Gunnar Heinsohn zeigt das in seinem Beitrag ja schön… Weiterlesen »
Kreative Trennungen scheinen das Merkmal eines jeden Fortschritts zu sein. Dadurch werden behindernde Interdependenzen im System aufgelöst und die neu entstandenen Strukturen können sich ganz auf ihre jeweiligen Aufgaben konzentrieren. Korruption ist so gesehen nichts anderes als die (Wieder-)verschmelzung von Funktionseinheiten, die nur getrennt optimal funktionieren können. Erst die Einführung einer artifiziellen Managementebene, die die Teilsysteme koordiniert machte beispielsweise das GPS-System möglich, welches dem Nutzer erlaubt, jederzeit und an jedem Ort seine Position zu kennen, ohne sich um relative Orientierungshilfen (Leuchtfeuer, markante Punkte in der Landschaft) kümmern zu müssen. Die User-Ebene wurde also massiv entlastet und für andere Aufgaben freigestellt.
Sie sprechen Trennung und Vernetzung zugleich an, wenn ich Sie richtig verstehe.
Das GPS im speziellen ist vom User völlig unabhängig (Server). Durch die interne Vernetzung sind die Satelliten in der Lage, dem Clientsystem mehrere genau definierte Positionsdaten zu liefern, die dieses zu einem exakten Standort zusammenrechnet. Der User muss keinerlei Eigenaktivität mehr erbringen. Er greift auf eine absolute Leistung zurück, ähnlich einem Kunden, der sich nicht um die Funktionszusammenhänge in einer Firma kümmern muss. Man spricht auch von Transparenz des Systems. In einem korrumpierten System muss er dass sehr wohl. Die Transparenz geht verloren, das System wird „opak“. Alle hochentwickelten Systeme tragen den Keim des Rückfalls in direktere = stabilere Verhältnisse… Weiterlesen »
Lieber Herr Pfeifenberger, ein interessantes Beispiel, das Trennung und Vernetzung gut illustriert. Es zeigt sehr schön, dass für das richtige Funktionieren ( richtig = dem Zweck entsprechend) beides in Betracht gezogen werden muss. Dabei ist wichtig, dass beide Begriffe so verwendet werden müssen, dass es um richtige Vernetzung und um richtige Separierung geht. Beides kann man jeweils auch falsch machen. In Ihrem Beispiel ist das GPS vom User derzeit noch nicht völlig unabhängig, denn er muss mindestens mit einer am/im Körper befindlichen Energie- und Signalsendequelle mit dem GPS richtig verbunden sein. Das ist auch insoweit wichtig, als es in und… Weiterlesen »
Aber allgemein sind die Gedanken nicht falsch; sie tauchen sehr oft in Überlegungen zum Design großer Softwaresysteme auf. Persönlich bin ich ein Verfechter einfacher, leicht austauschbarer Systeme, die die Komplexität der Problemstellung durch hohen Vernetzungsgrad abbilden. Das bedingt, das es stabile und klar definierte Schnittstellen geben muss. Dann muss der Kunde (Benutzer) nur wissen: Wenn ich A ins System hineingebe, kriege ich sicher B aus dem System heraus. Wenn dann das System erneuert werden muss, ist es völlig gleichgültig, welche Technologie ich dafür einsetze. Nur das äußere Verhalten muss nachgebildet werden, und da das System einfach gehalten ist, kann es… Weiterlesen »
Interessant wird es, wenn A ins System geht, und manchmal B, aber manchmal auch C herauskommt, manchmal aber auch X .. die nicht-trivialen Maschinen von Heinz von Foerster.
Verzeihen Sie mir meine humorvoll gemeinte Erwiderung darauf: So etwas haben wir schon, nämlich in Form von abstürzender Computerprogramme oder explodierenden Ariane-5-Trägerraketen. 🙂 Spaß beiseite: wenn ich einen Microservice benutze, um ein größeres System daraus zu stricken, dann muss ich ein deterministisches Verhalten haben. Wenn das nicht vorliegt, funktioniert mein System nicht. Neidvoll blicken manche Softwareentwickler auf die Hardwareentwicklung. Ich sage aber, das liegt daran, dass die Physik der Bauteile eben naturgesetzlich und damit deterministisch funktioniert. Ich steige in ein Flugzeug, ohne um mein Leben zu fürchten, weil ich darauf vertrauen kann, dass ein gut gewartetes Flugzeug eben die Tragkraft… Weiterlesen »
Ich greife Ihre Schlusssätze auf betreffend Resilienz, das heute gross in Mode ist, aber regelmässig falsch dargestellt wird.
Sie sagen es richtig: Unabhängig gegen Variationen im Input, weil diese durch die Systemfeedbacks ausgeglichen werden. Übrigens ist dies auch der Trick der Natur, ihre Systeme unabhängig zu machen von „Wissen“ (Info) über die Kausalität. Ein System muss nicht wissen, warum eine Störung auftritt, sondern nur dass sie auftritt. Dadurch wird die Gegensteuerung durch Feedback ausgelöst.
Hmm, so ganz kann ich das nicht unterschreiben.
Der User benötigt keine Eigenleistung, weil GPS auf physikalischen Prinzipien beruht, die Berechnung der Position mathematisch modellierbar und mithin automatisch durchführbar ist.
Die Transparenz für den Benutzer entsteht durch die Automatisierbarkeit.
Gäbe es keine Automaten, die diese Berechnungen durchführen können, müsste der Benutzer wieder verstehend eingreifen, eben wie der Schiffskapitän der Segelflotte, der mit seinem Sextanten seine Position noch nicht kennt, sondern erst nach manuellen Berechnungen unter Hinzunahme von Almanachen.
Exakt! Transparenz durch Modellierung, anschließende Automatisierung und resultierend Allgegenwart der Satellitensignale. Mich interessiert hier die Verallgemeinerung: „Wie kann in einem System überhaupt Transparenz entstehen?“ Antwort: Durch räumliche und zeitliche Allgegenwart. So werden manch alte Kontexte (=Nahbeziehungen) obsolet. Explizite Bezugnahme durch Suchen, Verstehen, sich Annähern, Fixpunktpeilung etc. entfällt. Vor ca. 570 Mill. Jahren war Sauerstoff in den Weltmeeren so reichlich vorhanden, dass fast schlagartig komplexe Tiere und Lebensgemeinschaften entstanden. Der Grund: Ein starkes Oxidationsmittel war omnipräsent, ergo transparent. Transparenz als zentraler Motor des Fortschritts. Intelligenz, deutsch „Einsicht“ konnte auch nur entstehen, weil der optische Sinn bei reichlich Sonnenlicht nicht, wie die… Weiterlesen »
Richtiges Management, Sie sagen es. Ich behaupte, dass zum richtigen Management die Fähigkeit gehört, die richtigen Fragen stellen zu können. Ich behaupte darüberhinaus, dass nicht alle Menschen die richtigen Fragen stellen. Je mehr Beobachtungen in der Praxis ich mache, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass die empirische Methode, wie sie in den Naturwissenschaften über Jahrhunderte perfektioniert und spezialisiert wurde, der einzig richtige Zugang zum Management komplexer Systeme ist. Man muss natürlich die Methode adaptieren; ich spreche vom grundlegenden Ansatz. Ich werde immer misstrauischer gegenüber „Grand Designs“, wo am Reißbrett Organisationen oder gar ganze… Weiterlesen »
Die Chinesen haben doch genau das vorgemacht. Ich kenne die Geschichte nicht gut, aber was ich aus allgemein zugänglichen Quellen in Erinnerung habe, ist grob skizziert folgendes: 1. Zuerst erlaubte man Bauern, Überschüsse zum Plansoll für sich zu behalten. 2. In Shenzen wurde erst einmal die erste Sonderwirtschaftszone eingerichtet. 3. Dann wurden mehrere Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, darunter Shanghai und, wie ich meine, insgesamt 8. 4. Erst dann wurde die Währung zum Umtausch freigegeben. etc. etc. Im Gegensatz zu Deutschland, wo man nach einem fernöstlichen Tsunami sofort komplett durchdreht und im Hauruck-Verfahren einen fragwürdigen Wechsel der Energiebereitstellungssysteme forcieren will, ging man in… Weiterlesen »
Grand Designs schaffen enorme Probleme. Aber kleine Schritte reichen heute auch nicht mehr.
Es brauche von beidem etwas, und die Evolution ist ein nützliches Paradigma dafür.
Ja, das stimmt, man muss grob wissen, wo man hin will, was man bewirken will, und wie das Ziel grob erreicht werden soll. Sonst ähneln die kleinen Schritte den Bewegungen eines betrunkenen Matrosen. Ich erinnere mich lebhaft an die Vorlesung „Software Engineering“, in der eine ganze Reihe von Softwareprojekten vorgestellt wurde, die alle scheiterten. Während meine Schlussfolgerung war: „Die Management-Methode scheint mir völlig unbrauchbar“, war die Schlussfolgerung des Professors: „Sie sehen, man muss bei der Wasserfall-Methode noch sehr viel sorgfältiger vorgehen, um ein Scheitern zu vermeiden.“ Nun ja, man sieht ja am Flughafen BER, oder am Global Hawk, wie toll… Weiterlesen »
Vielleicht wollen Sie in ein paar Sätzen für uns alle die Wasserfall Methode kurz beschreiben. Heute steht Scrum im Zentrum. Wie gross ist der Unterschied und Fortschritt?
Mit Ihrem letzten Satz bin ich sehr einverstanden – und wäre es gerne auch für alle Naturwissenschaften. Wir müssen aber auch bedenken, dass es gerade Naturwissenschaften waren, die das kausal-mechanistische Weltbild geschaffen haben und die dahinter stehende Cartesianische Philosophie.
Wir müssten sagen: Die modernen Naturwissenschaften, und dort wiederum vorwiegend die Biologischen Fächer, eben z. B. auch die Evolutionstheorie. Und dann v. a. die Komplexitätswissenschaften: Systemtheorie, Kybernetik, Bionik.
Auch hier bin ich wiederum ganz bei Ihnen! Aber man darf nicht vergessen, dass das kausal-mechanistische Weltbild in der Physik lange, lange überholt ist. Der Laplace-Dämon ist eine Erfindung des 19. Jh., seitdem haben Quanten- und Informationstheorie einen sehr langen Entwicklungsweg hinter sich. Komplexitätstheorie ist Standard für jeden Physiker meiner Generation und danach; man lernt, dass komplexe Probleme mit alten mechanistischen Ansätzen sehr schnell unlösbar werden. Exakte ab-initio-Rechnungen gehen nur für kleine Probleme, und es besteht keine Hoffnung, jemals einen Rechner zu bauen, der die Komplexität abbilden kann. Um den Quantenzustand nur eines einzigen Eisenatoms abbilden zu können, und unter… Weiterlesen »
Ich stimme Ihnen natürlich zu und freue mich immer, wenn gerade die Physik als eine der Königsdisziplinen weitere Fortschritte macht.
Darob darf nicht übersehen werden, dass die dominierenden praktische Anwendungen von Physik heute aber noch immer im Kausal-Paradigma erfolgen, zumeist sogar linear-kausal. Und das prägt das Denken in der Praxis weit stärker als die Forschungsfront. Dasselbe gilt ja auch für die Informatik, die weiterhin klar unterscheidbar ja-nein-Schaltungen braucht.
Das gegenseitige Vertrauen ist ein plakatives Beispiel dafür, wie einfach und wie schwierig das in der Praxis sein kann. Ich war zuletzt bei einer relativ großen Organisation als Referent und Trainer eingeladen. Da gab es dann beides, echtes und gegenseitiges Vertrauen, aber in anderen Bereichen eben auch das Gegenteil. Ich war dann sehr beeindruckt, als sich in dem erstgenannten Bereich, sehr schnell und konsequent das gegenseite Vertrauen laufend vergrößerte und eben immer mehr festigte. Hier gab es dann innerhalb einer großen Organisation sehr unterschiedliche Subkulturen.
Zur Wasserfall-Methode: Man durchschreitet bei einem Projekt verschiedene, diskrete Phasen. Zuerst die Analyse, dann Entwurf, dann Implementation, dann Test, dann Wartung. Als letzte Phase würde ich noch das Abschreiben hoher Millionenbeträge für ein nicht funktionierendes System hinzufügen. Der Wasserfall funktioniert bei gut bekannten Prozessen, z.B. der Organisation eines Frühstücks für 4 Personen o.ä. Effizienz Scrum versus Wasserfall: Scrum-Master berichten regelmäßig doppelte Produktivität bei halbem Ressourceneinsatz, öfter auch mehr. In meiner Abteilung wird ebenfalls nur nach Scrum und testgetrieben gearbeitet. Meine eigene Arbeitsweise war dem bereits sehr nahe, daher hatte ich wenig Mühe, mich daran anzupassen. Wenn ich mir gewisse Prozesse… Weiterlesen »
Zu Ihrem letzten Satz: Nein, kann man nicht, ausser in determinierten Systemen.
Die Scrum-Geschichte finde ich interessant, aber aus einem anderen Grunde, als die meisten anderen.
Ich habe folgenden Eindruck: Wenn man mit so etwas wie Scrum so grosse Leistungen herausholen kann,
dann muss die vorherige Art Software zu entwickeln, furchtbar schlecht gewesen sein. Vielleicht können
Sie dazu etwas schreiben.
Ich schreibe gerne etwas dazu, aber kann das öffentlich nur aus höchstgradig subjektiver Sicht tun. Ich könnte einen längeren Aufsatz darüber schreiben, also muss ich hier wählen und verkürzt darstellen. Z.B. denke ich, dass Peter Drucker mir beipflichten würde, wenn ich behaupte, dass eine Klasse oder eine Funktionalität in einem Rutsch implementiert werden muss, während eines Zeitblocks, der groß genug ist, das zu schaffen. Erweitert auf das Team spiegelt sich das in den Sprints wieder: Radikale Outputorientierung! Am Ende eines Sprints muss ein funktionsfähiges Produkt stehen, und könnte es noch so wenig. Es muss fertig sein und benutzbar sein. Dann… Weiterlesen »
Besten Dank für Ihre Erläuterungen.
Systems Control in real time … Für jeden klar, der sich mit Kybernetik auskennt. Was immer funktioniert, funktioniert wegen real time control. Sobald dies fehlt oder der Feedback mit Time Lags verspätet kommt, geht das System aus dem Ruder.
Sehr geehrter Prof. Malik, ich danke Ihnen im Gegenzug, dass Sie meine Ausführungen noch einmal in anderer Sprache auf den Punkt gebracht haben. Sie haben mir in den kurzen Sätzen etwas sehr Wichtiges glasklar gemacht! Ich erinnere mich an die Diskussion „Sach- und Managementebene voneinander trennen“. An diesem Beispiel, das mir aus unmittelbarer Praxis einsichtig ist, und Ihrer Reformulierung in anderer Sprache verstehe ich endlich, was Sie damit meinen! Das regt mich zum Nachdenken an. Sicher ist dieses Prinzip auch auf die persönliche Arbeitsmethodik und Bildungssteuerung anwendbar. In meinem Arbeitsfeld ist es absolut unerlässlich, sich stets neue Technologien anzueignen, sonst… Weiterlesen »
Lieber Herr Irmak, besten Dank, das freut mich.
Als sich mich vor wenigen Jahren zum ersten Mal mit Scrum und kybernetischem Management beschäftigte sah ich schnell Parallelen. Scrum fördert Selbstorganisation, Konzentration auf die wichtigsten Dinge und kennt Feedback. Bei genauerer Betrachtung habe ich dann den Eindruck gewonnen, dass Scrum die Komplexität reduziert anstatt die Handlungsoptionen zu erweitern. Bei Scrum passt man sich nicht an die Außenwelt an, sondern fordert von dieser, sich an die neuen Begebenheiten anzupassen. Dies stellt das Prinzip der Lebensfähigkeit auf den Kopf. Feedback ist kein Realtime, sondern wird nur zu definierten Zeitpunkten zugelassen. Dies macht die Handhabung starr und unflexibel und dient in meinen… Weiterlesen »
Lieber Herr Fritz, besten Dank für diesen sehr wichtigen Eintrag. Sie schaffen genau dort Klarheit, wo sie derzeit so dringend nötig ist. Ich freue mich, wenn Sie Ihre Kybernetik- und Systemkenntnisse hier weiterhin einbringen.
Ich möchte mich bei jedem Einzelnen für diesen wunderbaren Austausch bedanken.
Mir hat es sehr viel Spaß gemacht und ich empfinde ihn als sehr bereichernd.